Sascha Kokot

BAUSTELLE_Geisternetze

Kokots neuer Gedichtband „Geisternetze“ ist von erzählerischen Gedichten geprägt. Die Texte haben einen fast dokumentarischen Charakter mit ihrem Blick für wesentliche Details. Zugleich schwingen in ihnen aber auch immer wieder Humor, Trost und Zuversicht mit und bilden so ein Gegengewicht zu den ernsten Themen. Das Herzstück des neuen Gedichtbands ist das Kapitel „Flocke“. Es widmet sich der modernen Reproduktionsmedizin und Elternschaft. Diese Themen sind gesellschaftlich virulent – und stark mit Scham behaftet ist. Für Kokot war es wichtig diese Themen in der verdichteten Form der Lyrik aufzuarbeiten und auch zu enttabuisieren. Die Leserinnen und Leser begleiten in den Gedichten des Zyklus das lyrische Ich bei seinen medizinischen und gedanklichen Schritten und sind so auch seinen Zweifeln und Sorgen ausgesetzt. Sie können mitverfolgen, wie Hoffnung entsteht, mit einem ersten Verlust umgegangen werden muss und neue Kraft für einen letzten Versuch geschöpft wird. Das Kapitel „Flimmern“ widmet sich der Vergänglichkeit in Beziehungen und erzählt die Geschichte einer Liebe. Vom Kennenlernen und Verlieben über das Zusammenleben in einer Partnerschaft bis hin zum Zerbrechen der Beziehung. Die episodischen Texte stellen zunächst eine große Nähe und Zärtlichkeit her, jedoch entfernen sich die beiden Personen im Laufe des Zyklus zunehmend voneinander. Die Beziehung wird fragil und von grundsätzlichen Fragen in Zweifel gezogen. Fragen an das gemeinsame Altern und Reifen, aber auch, ob die gemeinsame Beziehung überhaupt eine tragfähige Zukunft hat. Im Kapitel „Nachhall“ beleuchten die verschiedenen Gedichte die Vergänglichkeit, die mit dem letzten Lebensabschnitt einhergehen. Die Gedichte handeln vom Loslassen und dem Verhältnis zum Tod. Bei diesen Texten spielen das Erinnern und Zurückblicken immer wieder eine zentrale Rolle. Gleichzeitig ist den Gedichten aber auch eingeschrieben, dass sie etwas Abgeschlossenes betrachten und dies nicht mehr zurückgeholt werden kann. Das ist schmerzhaft, verdeutlicht aber die Einzigartigkeit unserer Erfahrungen. Die Gesamtkomposition des Manuskripts wird durch die Kapitel „Geister“ und „Quartier“ abgerundet. Sie sind als Überleitung zwischen den längeren Gedichtzyklen angelegt. Die beiden Kapitel beschreiben die Technosphäre sowie die urbane Umwelt, zeigen, wie sich gegenseitige Abhängigkeiten entwickelt haben, welchem permanenten Wandel das Ich ausgesetzt ist und welche Perspektiven sich daraus eröffnen. Der Autor will mit seinen Gedichten auch schwer fassbare Aspekte wie Sinnlichkeit und Intimität transportieren, ohne dass die Bilder kitschig oder beliebig werden – und die Leser emotional berühren.

Sascha Kokots Lyrik ist höchst eigenständig und vertraut ganz der Wahrnehmung, den Gedanken und Bildern.
Leise und ruhig spinnen diese Gedichte ihre Netze mit einer wunderschönen Genauigkeit, sie sind so durchscheinend, dass man, wenn man durch sie hindurchschaut, meint, nichts als Tiefe zu erkennen.

Martina Hefter

Gans Verlag, Berlin 2026
92 Seiten, Hardcover, 20,00 EUR
ISBN: 978-3946392729

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